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Amphi Festival 2012 – Review

Das VIII. Amphi Festival war für mich in doppelter Hinsicht eine Premiere: Es war mein erstes Amphi und mein erstes Festival, zu dem ich meine Fotoausrüstung mitgenommen habe. Ein weiser Entschluss, wie sich schnell zeigen sollte, gab es doch außerhalb des sehr schön am Rheinufer gelegenen Festivalgeländes (Tanzbrunnen Köln) ebenfalls viele feine Motive zu entdecken, so dass ich mit rund 1.000 Aufnahmen aus Köln zurückgekehrt bin.

Samstag, 21. Juli 2012

Nach einem kurzen Bummel über das Festivalgelände zog es uns erst einmal zur Autogrammstunde von Haujobb in das Staatenhaus, danach gab es zunächst dort amtlich was auf die Ohren:

Tyske Ludder: Old-School-EBM vom Feinsten und immer voll auf die Zwölf – ein schwungvoller Auftakt und -tritt (in den schon langsam einrostenden EBM-Hintern…), der mich spontan an Prager Handgriff denken und rund 20 Jahre jünger fühlen ließ.

Spetsnaz: Von den teilweise zeitgleich auf der Hauptbühne spielenden Schweden (Stefan Nilsson und Pontus Stålberg) bekamen wir leider nur noch den Rest mit, aber wir waren ohnehin vor allem wegen Mind.in.a.Box zur Mainstage gegangen.

Mind.in.a.Box: Von CD derzeit eine meiner Lieblingsbands, konnten sie mich auch live vollauf überzeugen. Unterstützt von Gitarrist Adam Wehsely-Swiczinsky, Roman Stift am Bass und Drummer Gerhard Höffler bot die Band um Stefan Poiss und Markus Hadwiger einen energiegeladenen und mitreißenden Auftritt. Kleinere technische Probleme – „Die E-Saite…“ – bewältigten Mind.in.a.Box mit augenzwinkerndem Humor, so dass der insgesamt mehr als überzeugende, von sichtlicher Spielfreude geprägte Auftritt nicht darunter leiden musste.

Seabound: Leider überschnitt sich ihr Set mit dem von Mind.in.a.Box, wodurch ich von Seabound nur noch die letzten Takte mitbekam. Zum Glück die einzige Kollision zweier mir wichtiger Bands, ansonsten passte zeitlich alles sehr gut.

Assemblage 23: Tom Shear habe ich zuletzt 2006 auf dem M’era Luna in Hildesheim gesehen und war gespannt auf sein aktuelles Programm. Hat erneut viel Spaß gemacht, allerdings kann ich mit den älteren Stücken definitiv mehr anfangen oder muss mir die neuen Sachen erst noch erarbeiten – keine Ahnung.

[:SITD:]: Stets Garanten für energiegeladene, mitreissende Auftritte, überzeugten Carsten (Jacek), Tom (Thomas Lesczenski) und Frank (Francesco D’Angelo) mich auf dem Amphi nicht minder als schon 2006 bei ihrem Konzert in Hamburg im Kir, wo ich sie zuletzt gesehen hatte. Ihr Set konnte ich kaum erwarten, hatten  sie sich bislang von Album zu Album immer noch weiter gesteigert, so dass ich sehr auf die Liveumsetzung der Songs vom jüngsten Album ICON:KORU gespannt war. Die überzeugte einmal mehr absolut, wobei schön zu hören war, dass auch Tom in der Zwischenzeit erfolgreich an seinem Gesang gearbeitet hat.

Haujobb: In ihrem starken Set spielten sie neben überwiegend neuen Songs vom aktuellen Album New World March auch Klassiker wie Dream Aid. Bedauerlich waren allerdings die technischen Probleme, wodurch einige Videoclips erst kurz vor Ende des Auftritts gezeigt werden konnten.

Eisbrecher: Haben wir nur im Vorbeilaufen hören können. Kein großer Verlust, da mir ihre aktuellen, fast schon an Unheimlich erinnernden Songs nicht mehr so gut gefallen wie die noch etwas interessanteren älteren Sachen. Vielleicht muss ich mich erst noch daran gewöhnen – vielleicht will ich das aber auch gar nicht…

The Sisters of Mercy: Warum erst 20 Jahre vergehen mussten, bis ich mir die Helden meiner Jugend endlich einmal live angesehen habe, weiß ich selbst nicht. Aber irgendwie passte es in all den Jahren wohl nie so richtig – dafür jetzt umso besser: Andrew Eldritch mag inzwischen sein Haupthaar, zum Glück aber nichts an Spielfreude verloren haben und lieferte unterstützt von Ben Christo und Chris Catalyst sowie einer mir nicht bekannten Sängerin eine fulminante Show. Die Restsonne tat der guten Stimmung dabei keinen Abbruch und so kam ich endlich einmal in den Genuss längst nicht mehr neuer Songs wie Crash and Burn oder (We are the same) Susanne, die nach wie vor leider auf keinem Album zu finden sind. Überraschender Höhepunkt des Auftritts war für mich der Klassiker This Corrosion, denn die Sängerin trug den Song als ruhige Pianoballade vor.

Mit den Sisters und einem anschließenden Bummel über das Festivalgelände und am Rheinufer entlang ließen wir den Samstag langsam ausklingen.

Sonntag, 22. Juli 2012

Dr. Mark Benecke: Den Auftakt unseres Sonntagsprogramms bildete mit dem Vortrag von Dr. Mark Benecke, Deutschlands bekanntestem Kriminalbiologen, erst einmal eine Fortbildungsveranstaltung. Leider hatte er für seinen Auftritt statt der sonst üblichen drei Stunden nur gute 45 Min. Zeit, was sich etwas ungünstig auf das Vortragstempo auswirkte. Am liebsten hätte ich ihn auf Video aufgezeichnet, um mir den Vortrag später noch einmal in Zeitlupe ansehen zu können. So schilderte Benecke schnell, dennoch gleichermaßen anschaulich wie unterhaltsam einen tragischen Fall, der mich als Rechtsanwalt und Strafverteidiger angesichts der Behandlung eines Tötungsdelikts durch Staatsanwaltschaft und Gericht erst einmal zum Fremdschämen für die „Kollegen“ nötigte: Eine als Mörderin abgeurteilte und nach wie vor eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßende Frau konnte die ihr vorgeworfene brutale Tat (eine alte Dame war durch rund 50 Messerstiche getötet worden) angesichts der von Benecke und seinem Team am und rund um den Tatort ermittelten Spuren und anderen Tatsachen mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht begangen haben. Die an Tatort und Tatverdächtiger vorgefundenen bzw. gerade nicht vorgefundenen Spuren passten überhaupt nicht zu der „prozessualen Wahrheit“, mit der die Strafkammer ihre Entscheidung letztlich begründet hatte. Besonders tragisch: Da die Verurteilte die Tat völlig zu Recht nach wie vor beharrlich leugnet (was während des Verfahrens ihr gutes Recht war, aber eben nur bis zum Urteil…), gilt sie im Strafvollzug als “unbelehrbare”, uneinsichtige Täterin und hat damit keine Chance, nach 15 Jahren vorzeitig auf Bewährung aus dem Vollzug entlassen zu werden. Konsequent zu Ende gedacht, müsste sie “nur” einen Mord gestehen, den sie gar nicht begangen haben kann, um als “einsichtig” usw. zu gelten und früher entlassen zu werden – verkehrte Welt. Mark Benecke und sein Team jedenfalls könnten für ein längst überfälliges Wiederaufnahmeverfahren wertvolle Beiträge liefern, wenn sich noch Sponsoren fänden, um wenigstens die nicht geringen Materialkosten zu finanzieren. Alles in allem ein beeindruckender Vortrag von einem nicht minder beeindruckenden, sehr sympathischen Mark Benecke, der mich nicht nur gut unterhielt, sondern auch sehr zum Nachdenken anregte.

18 Summers: Hat mich gefreut, Felix Flaucher, Frank Schwer und Co. endlich einmal live zu erleben. Noch als Silke Bischoff hatten sie mir seinerzeit neben den Sisters, Lakaien, Frontline Assembly und Pitchfork den Weg auf die Dunkle Seite™ geebnet. Leider hatten sie ausgerechnet am Ende ihres Sets mit üblen Soundproblemen zu kämpfen, wodurch der zum Abschluss gespielte Silke Bischoff Klassiker On the other Side etwas unterging.

Conjure One: Nachdem ich Altmeister Bill Leeb nun schon mehrfach mit Frontline Assembly live gesehen hatte und mich – bis zu ihrer Absage – erneut sehr auf sie gefreut hatte, war es mir ein besonderes Vergnügen, mit Rhys Fulber endlich einmal seine bessere Hälfte zu erleben. Hier mit Conjure One, die mit Sängerin und Drummer angereist waren und vollauf überzeugen konnten. Die Musik war erwartungsgemäß grandios, aber auch der Sound war perfekt eingestellt, so dass C1 eine der wenigen Bands war, deren Auftritt ungefiltert durch einen Gehörschutz zu genießen war. Dabei arrangierte Rhys die Tracks live abweichend von ihren Albumvorbildern, was ihm hervorragend, fast schon zu gut gelang, denn einige Live-Fassungen gefielen mir besser als die Albumversionen. Mehr noch hat mich allerdings überrascht, dass Fulber himself zu einigen Tracks die Vocals beisteuerte, was mir wirklich neu war. Wie angekündigt, spielte Rhys nicht nur Songs von Conjure One, sondern als kleines Trostpflaster für die nach der Absage von Frontline Assembly zu Recht enttäuschten Fans noch zwei ältere Songs von FLA und einige Stücke von Delerium, darunter den Über-Hit Silence. Alles in allem ein großartiger Auftritt, für mich eines der Highlights des ganzen Festivals.

Combichrist: Ob die Männer um Andy LaPlegua unmittelbar im Anschluss an C1 geschickt platziert waren, sei dahingestellt. Sie rockten das Staatenhaus jedenfalls amtlich und spätestens bei Krachern wie Get your Body beat konnte wohl niemand mehr stillhalten.

And One: Trotz hörbarer Erkrankung Steve Naghavis (bei Timekiller klang er eher nach Peter Spilles…) überzeugte er einmal mehr als brillanter Entertainer, der selbst noch mit 40 Grad Fieber das Publikum besser unterhielt als so mancher Kollege ohne erhöhte Temperatur. Erst bei So klingt Liebe schien er auf einmal etwas textschwach – O-Ton: „Lalala… – irgendwas mit ficken – Ihr kennt den Text…“. Die Zugabe leitete die Band mit einem eigens dafür produzierten, sinnigerweise ebenso betitelten Track ein. Von den Zuschauern u. a. mit einer schwarzen Polonaise frenetisch (ab)gefeiert, überzeugten And One erneut und bildeten für mich neben C1 und den Sisters einen der Höhepunkte des Amphis 2012.

Project Pitchfork: Gleich nach der Show von And One wechselten wir in das Staatenhaus zu Project Pitchfork, deren Auftritt den würdigen Abschluss des Festivals bildete. Bezeichnenderweise bekamen wir als ersten Song ausgerechnet Timekiller mit, den wir kurz davor noch in der Coverversion von And One gehört hatten. Das Set umfasste neben aktuellen Stücken Klassiker wie K.N.K.A., die runde 20 Jahre nach ihrem Erscheinen immer noch nichts von ihrer ursprünglichen Faszination verloren haben – groß!

Im Anschluss stromerten wir erschöpft aber glücklich noch einmal über das Festivalgelände und rüsteten uns mit Asia-Nudeln im Beachclub für den Heimweg über die Brücke in unser Hotel („Müller“). Das können wir nicht nur wegen seiner günstigen Lage und Preise sehr empfehlen: Vom Hauptbahnhof aus in wenigen Gehminuten zu erreichen, konnten wir ebenso unkompliziert zu Fuß zum Tanzbrunnen gelangen – sehr praktisch. Ansonsten ein preiswertes Hotel im besten Sinne: Kleine, aber zweckmäßig eingerichtete und sehr saubere Nichtraucherzimmer mit schönem Bad. Vor allem das fantastische Frühstücksbuffet mit vielen auch warmen Leckereien, die frisch in der Hotelküche zubereitet wurden, war eine sehr angenehme Überraschung. Selbst wir als Vegetarier bzw. Veganer wurden hier mehr als satt.

Insgesamt ein rundum schönes Festival. Von den zahlreich gewonnenen Eindrücken (und Fotos…) werde ich noch lange zehren. Aber nicht nur von den Bands selbst kann ich positiv berichten: Das Amphi Festival insgesamt schien durchweg professionell organisiert, zumindest hatten wir an keiner Stelle irgendwelche Probleme, kamen stets ohne Wartezeiten auf das sowie wieder vom Festivalgelände und die Security (soweit man die überhaupt wahrnahm) war freundlich-zurückhaltend. Nicht zuletzt war das Publikum sehr angenehm und strafte dabei wiederholt alle Klischees Lügen: In wohl kaum einer Szene laufen so viele Schafe im Wolfspelz herum, was ich bitte als Kompliment und nicht als Beleidigung verstanden wissen möchte: Mögen viele Besucher martialisch ge- bis abenteuerlich verkleidet sein, hatte ich zum Teil eher das Gefühl, je brutaler und düsterer manche aussahen, um so friedlicher und mit mehr ehrlicher Lebensfreude haben sie gefeiert. Sehr inspirierend, ansteckend und für mich einer der Gründe, warum ich immer wieder auf schwarzen Festivals zu finden sein werde.

In diesem Sinne: Nach dem Amphi ist vor dem Amphi und der Vorverkauf für 2013 hat schon begonnen…